Cookie Consent by PrivacyPolicies.com




Recht haben und (Un)Recht bekommen! - Eine Hängerfahrt mit Folgen
[08.05.2011 • Autor: Svenja von Allwörden]


Píla, Februar 2003.

Leserbriefe geben die Meinung der Verfasser wieder, mit der sich die Redaktion nicht immer identifiziert. Diese behält sich Kürzungen vor. Anonyme Zuschriften werden nicht veröffentlicht. Die Leserbriefe erscheinen in der neuen Rechtschreibung.

Im Januar 2003 war ich mit meinen beiden Islandpferden Fluga und Píla auf dem Weg von Wischhafen zum Gestüt Ostetal in Bremervörde. Unterwegs hörte ich ein Poltern im Pferdeanhänger und fuhr rechts ran. Die 4-jährige Stute Píla war mit beiden Vorderbeinen über die Querstange des Hängers geraten, obwohl sie mit zwei Stricken kurz angebunden war, und konnte sich nicht mehr selbst befreien. Nach Abmontieren der Querstange konnten meine Eltern und ich sie befreien, sie stand ein paar Sekunden und sank dann vor Erschöpfung langsam auf den Boden des Anhängers. Da sie nicht mehr aufstehen wollte und wir Verletzungen nicht ausschließen konnten, riefen wir eine nahegelegene Tierarztpraxis. Nach ca. 10 Minuten war eine Assistenzärztin da. Píla lag auf der linken vorderen Seite des Anhängers, der Kopf war aufrecht. Auf Anweisung der Assistenzärztin fuhren wir in die nächste Nebenstraße, da wir uns noch direkt an der Hauptstraße befanden und versuchten, das Pferd zum Aufstehen zu bewegen. Dieses gelang uns jedoch nicht.

Die Assistenzärztin wollte nun ein Kreislauf- und ein Schmerzmittel (Effortil und Meflosyl) spritzen. Ich hielt Pílas Kopf am Halfter auf der rechten Seite fest. Die Ärztin nahm eine Nadel und versuchte mehrmals, eine Vene zu finden. Dieses gelang ihr zunächst jedoch nicht, sie holte eine zweite, längere Nadel und versuchte es erneut. Da Islandpferde ja bekanntlich im Januar ein sehr dichtes und langes Winterfell haben, was es nahezu unmöglich macht, eine Vene ohne Rasur zu ertasten, sprach sie erst nach mehreren Versuchen davon, den Hals des Pferdes eventuell zu rasieren. Nach einigen Minuten meinte sie jedoch, die Vene gefunden zu haben und lehnte ein Rasieren ab. Das Reinigen der Einstichstelle mit einem Alkoholtuch, was normalerweise vorgeschrieben ist, erfolgte auch nicht.

Píla, Februar 2003.

Wir warteten einen Moment ab, versuchten nochmals, Píla zum Aufstehen zu bewegen, was allerdings ohne Erfolg blieb. Die Tierärztin schlug vor, mit dem liegenden Pferd zurück zum Hof nach Wischhafen zu fahren. Auf dem Weg dorthin gab sie uns ein Zeichen, dass Píla selbstständig aufgestanden war und wir hielten an. Sie untersuchte das Pferd kurz, konnte keine Verletzungen feststellen und wir setzten unsere Fahrt zum ursprünglichen Ziel nach Bremervörde fort.

Zunächst sah alles so aus, als wäre die Sache glimpflich abgelaufen und Píla nichts passiert. Nach zwei Tagen allerdings bekam sie hohes Fieber und war apathisch. Es wurde eine „Thrombophlebitis der linken Halsvene mit umfangreicher Abszedierung im Vorderbrustbereich“ festgestellt, der gesamte Brustbereich und die Umgebung der Halsvene waren entzündet. Mein Tierarzt stellte außerdem mindestens 4 Einstichstellen im Abstand von 7 cm neben der Vene fest! Píla ging es von Tag zu Tag schlechter, so dass nach einigen Tagen eine Einweisung in die Tierklinik nötig war. Schnell stand fest, dass es sich um einen Behandlungsfehler der Assistenzärztin handeln musste, da die Injektion paravenös gesetzt wurde.

Das Leben der 4-jährigen Stute hing an einem seidenen Faden, der gesamte Brustbereich war offen, das Fettgewebe war zu sehen, Gewebeflüssigkeit lief an den Vorderbeinen entlang und das Pferd stand apathisch in der Box. Wirklich kein schöner Anblick!

Die Ärzte konnten zu dem Zeitpunkt leider nichts anderes unternehmen, als Píla mit Antibiotika und schmerzstillenden Medikamenten zu versorgen. Man sagte mir, dass mein Pferd jederzeit tot in der Box liegen könne.

Aufgrund des guten Allgemeinzustandes des robusten Islandpferdes normalisierte sich der Zustand jedoch langsam und es überlebte. Die weitere Kontrolle und Wundversorgung erfolgte dann bei meinem heimischen Tierarzt und nach einigen Monaten war Píla wieder ein fröhliches Jungpferd, das endlich wieder über die Weide tölten durfte. Dank der hervorragenden Versorgung meines Tierarztes ist sie heute wieder voll hergestellt und es ist nichts mehr von der Verletzung zu erkennen. Inzwischen ist sie auch ausgebildet und ein ganz normales nettes Freizeitpferd.

Da ich auf die Erstattung der Behandlungskosten von inzwischen fast 2.000,- EUR von der Betriebshaftpflichtversicherung von der Tierarztpraxis, in der die Assistenzärztin tätig ist, hoffte, rief ich dort an. Wozu hat man schließlich eine Betriebshaftpflicht!? Der Chef der Praxis zeigte sich allerdings wenig einsichtig und meinte „so etwas könne ja schließlich mal passieren und seine Tierarztpraxis würde keine Schuld treffen“. Er wollte es überhaupt nicht seiner Versicherung melden und bezahlen auch nicht. Nach einigen Wochen und einem weiteren Telefonat meldete er es endlich seiner Haftpflicht, die sich allerdings auch weigerte, mir meine Kosten zu erstatten, da er kein Schuldeingeständnis abgab.

Píla, April 2003.

Nachdem ich mir einen Anwalt genommen hatte, bot die Praxis mir an, die Hälfte der Behandlungskosten zu übernehmen. Das sehe ich eindeutig als Schuldeingeständnis an, warum sollte sie sonst die Hälfte der Kosten übernehmen wollen? Ich lehnte ab, da ich ja die gesamten Kosten ersetzt haben wollte und es überhaupt nicht einsah, die Hälfte der Kosten zu tragen, da ich mich eindeutig im Recht befand. Das bestätigten mir auch sämtliche Freunde und Bekannte, die von diesem Fall erfuhren.

Nach fast zwei Jahren lag endlich das Gutachten eines Pferdesachverständigen der Tierärztlichen Hochschule Hannover vor, das allerdings alles andere als positiv für mich ausfiel. Der Sachverständige konnte nicht mit Bestimmtheit sagen, dass die Entzündung durch einen Behandlungsfehler verursacht wurde. Mein Anwalt hat auch noch nie ein so unpräzise geschriebenes Gutachten gesehen, in dem in fast jedem zweiten Satz die Worte „vielleicht“, „eventuell“, „könnte sein“ usw. auftauchen. Da sich das Gericht allerdings nur auf dieses Sachverständigengutachten stützt, sah die ganze Sache natürlich sehr ungünstig für mich aus und meine Klage hatte keine Aussicht auf Erfolg.

Píla, April 2003.
Ich möchte der jungen Assistenzärztin ja keinen Vorwurf machen, aber ich kann es nicht verstehen, dass der Chef der Tierarztpraxis den Schaden nicht seiner Betriebshaftpflichtversicherung melden wollte. Wozu ist man in Deutschland schließlich gegen alles mögliche (und unmögliche) versichert!? Für die Versicherung wäre es nur ein geringer Betrag gewesen, ich dagegen muss jetzt Píla verkaufen, um die gesamten Kosten bezahlen zu können.


Svenja von Allwörden








Artikel suchen
Suchen nach:

Familientreffen

Hengste und ihre Nachkommen
• Hengst-Rubriken
• Hengst-Liste
• Allgemeine Infos

Frühlingserwachen

Tranings-Tipps für Pferd und Reiter
• Übersicht
• Teil 1: Einleitung
• Teil 2: Grundlagen I
• Teil 3: Grundlagen II
• Teil 4: Gangreiten I
• Teil 5: Gangreiten II
• Teil 6: Ausblick