Auf´s falsche Pferd gesetzt
[04.08.2000 • Text: Roland Lange]

Mit 'nem Isi war also nix.

Viel zu teuer, keine Weide, kein Unterstand, kein Winterquartier. Der Frust saß tief. Auch bei mir. Dabei hätte ich mich freuen müssen. Nie standen die Chancen so gut wie jetzt, um das Abenteuer "Islandpferd" zu beenden und ein Hobby, das ich nie wollte, zu beerdigen. Doch ich war bereits süchtig nach Isis und meine Gedanken kreisten noch eine ganze Weile um die knuddeligen Pferdchen.

Während die Zeit unerbittlich ins Land zog und schließlich meine Wunden heilte, braute sich etwas hinter meinem Rücken zusammen. Meine beiden Frauen nämlich studierten tagein, tagaus die Zeitschrift "Pferdemarkt". Das musste mich nicht beunruhigen, denn das taten sie eigentlich schon immer. Doch als sie mich dann eines Tages, der Sommer neigte sich bereits stark dem Ende zu, mit treuherzigem Augenaufschlag umgurrten, ahnte ich nichts Gutes.

"Pippa...", begann meine Tochter. Wenn sie mich mit diesem Kosenamen ansprach, war höchste Vorsicht geboten.

"Pippa, was hälst du davon, wenn wir uns einen Irish-Tinker kaufen. Kuck mal, die sind doch auch ganz toll."

"Äh..."

Mehr konnte ich dazu nicht sagen, denn schon sah ich mich mit den Verkaufsfotos der verschiedensten Tinker konfrontiert.

"Die können zwar nicht tölten, aber sie sind wesentlich billiger. Und schicke Pferde sind das auch. Findest du nicht?" Doch, ich fand. Wie sollte ich denn anders, so, wie mich die Blicke meiner Frau durchbohrten. Und der Preis, der war tatsächlich attraktiv. Nur, eigentlich wollte ich ja gar nicht mehr... naja, sie gefielen mir wirklich ganz gut.

Schön, also ein Irish-Tinker, das wäre vielleicht eine Alternative gewesen.

"Wir haben aber weder Weide noch Winterquartier", erinnerte ich an zwei entscheidende Elemente der Pferdehaltung und hoffte, durch diese Hintertür der neuerlichen Versuchung zu entkommen.

Meine Frau schlug die Hintertür mit der ihr eigenen Vehemenz zu:

"Ich habe da im Kindergarten jemand kennengelernt. Das ist eine von den Müttern, Schrepp heißt sie, die will sich mit ihrer Familie zusammen Isländer anschaffen. Wir könnten das gemeinsam machen. Sie findet das jedenfalls eine gute Idee. Und eine Weide und ein Winterquartier, da hätte sie schon was in Aussicht."

Ich merkte, wie mir die Dinge aus der Hand glitten. Alles schien geregelt, alles schien klar. Ich brauchte bloß noch "Ja" dazu sagen. Doch ich zierte mich:

"Wenn die sich Isländer kaufen und wir einen Irish-Tinker, geht denn das? Ich meine, von wegen Offenstall und Robusthaltung und so..."

"Alles kein Problem," erwiderte meine Frau.

Ah ja, kein Problem also! Gut, dachte ich, wenn das so ist, dann soll sie das auch schön regeln. Ich werde mich etwas im Hintergrund halten.

Ich war erstaunt, mit welcher Rasanz sich die Dinge dann entwickelten. Zuerst stellte mich meine Frau den Schrepps vor. Wir beschnupperten uns kurz und beschlossen, es miteinander zu versuchen. Schon wenige Tage später konnten wir eine Weide pachten. Idyllisch gelegen, etwas hügelig und mit einem kleinen Bach. Einfach ideal! Und während die Schrepps noch nach einem geeigneten Isländer suchten, der diese Weide einmal bevölkern sollte, verwandelte sich unser geplanter Irish-Tinker in einen Haflinger.

Natürlich hatte meine Frau bei diesem Geschäft die Finger im Spiel. Sie kannte einfach zu viele Leute. Und die kannten wieder jemanden, der jemanden kannte, der einen Haflinger verkaufen wollte. Nur wenige Kilometer entfernt stand dieses edle Tier auf einem Gutshof, wurde dort täglich von seiner Besitzerin, einer Pädagogin, gepflegt und geritten und hieß "Streuner". Wir waren herzlich eingeladen, uns das nette Pferdchen einmal anzusehen und zu prüfen, ob wir Freunde werden könnten.

Es war keine Liebe auf den ersten Blick. Zwar behauptet meine Frau bis heute, Streuner sei ein wunderschönes Pferd gewesen mit seiner gewellten, wasserstoffblonden Mähne. Vielleicht mochte sie ihn ja wirklich, ebenso wie meine Tochter, aber ich konnte mich nie für ihn begeistern, auch wenn ich vorgab, es zu tun. Egal, der Wunsch, ein eigenes Pferd zu besitzen, war in der zurückliegenden Zeit ins Uferlose gewuchert, so dass wir wild entschlossen waren, Streuner zu kaufen. Doch vor dem Kauf standen einige Unterrichtseinheiten, die wir über den Winter in der hofeigenen Halle über uns ergehen lassen mussten. Das hatte sich Streuners Noch-Besitzerin ausbedungen, und sie höchstselbst wollte diesen Unterricht leiten.

Allein der Gedanke an den Reitunterricht auf unserem zukünftigen Pferd bereitete mir Bauchschmerzen. Als ich mich dann das erste Mal in meinem Leben in eine Reithose zwängte, wusste ich, es gab kein Zurück.

Respektvoll hielt ich mich im Hintergrund, als meine Tochter, die schon aus vergangenen Reitverein-Tagen etwas von Pferden verstand, Streuner bürstete und striegelte, was das Zeug hielt. Schließlich wagte ich mich, weil meine Frau mich drängelte, näher an Streuner heran und schlich misstrauisch und unter Wahrung eines Sicherheitsabstandes, um ihn herum.

Dann ging es in die Halle. Meine Tochter durfte Streuner zuerst besteigen und ihre Runden um unsere Reitlehrerin drehen, die mit dem Pferd über die Longe Kontakt hielt. Es sah eigentlich alles ziemlich harmlos aus, was mir ein wenig Mut machte. Ein zartes Pflänzchen namens Selbstbewusstsein wuchs in mir heran und bekam auch dann noch keinen Knacks, als meine Frau ihre ersten Meter auf Streuner bewältigte. Dafür, dass sie zum zweiten Mal auf einem Pferd saß, machte sie ihre Sache nämlich richtig gut.

Danach war die Reihe an mir. Drei sensationslüsterne Augenpaare starrten mich an. Wenn man die des Haflingers dazurechnete, waren es sogar vier! Vielleicht täuschte ich mich, aber mir schien, als zucke um die Maulwinkel des Pferdes ein hämisches Grinsen. Das machte meine Schritte nicht eben leichter. Mühsam schleppte ich mich durch die weichen Holzspäne, die den Hallenboden bedeckten. Dort stand es: das Ungeheuer, das nur darauf wartete, sich in eine Abschussrampe zu verwandeln, sobald ich auf seinen Rücken geklettert war.

Doch so schnell kommt man nicht auf den Rücken eines Pferdes! Diese bittere Erfahrung machte ich schon eine knappe Minute später. Ich tat alles so, wie ich es bei meinen beiden Vorreiterinnen beobachtet hatte: Gesicht zum Hinterteil des Pferdes. Einen Fuß, nämlich den linken, in den Steigbügel - ich hätte in der Vergangenheit mehr Gymnastik machen sollen - dann beide Hände zum Sattel, anfassen, hochziiiieee.... flatsch! Ich lag in den Holzspänen und der Sattel hing unter dem Bauch des armen Streuner, der mehr als dämlich zu mir herunterglotzte.

Zweiter Anlauf. Sattel wieder in Position gebracht, Fuß in Steigbügel, mit Schwung vom Boden abdrücken. Der Oberkörper war schon fast drüben, aber das freie Bein wollte nicht so recht über Streuners Rücken schwingen. Nur eine kleine Energieleistung rettete mich davor, die Holzspäne auf der anderen Seite des Pferdes ebenfalls näher kennenzulernen.

Der Rest war dann ein aufopferungsvoller Akt von Körperbeherrschung. Auch die aufmunternden Worte meiner Reitlehrerin, als ich von Streuner abstieg, konnten mich nicht davon überzeugen, dass ich mich je zum lustvollen Reiter wandeln würde.

Noch eine weitere Reitstunde ließ ich über mich ergehen, ich wollte meine Frauen nicht enttäuschen, doch den Rest des Winters hatte ich unter enormen Zeitdruck und diversen Zipperlein zu leiden, so dass es mir nicht möglich war, weiterhin auf Streuner herumzuturnen. Eigenartigerweise machte auch meine Frau etliche Versuche, den Reitunterricht zu boykottieren. Nur unsere Tochter blieb eisern bei der Stange und sehnte den Tag herbei, an dem Streuner uns gehören sollte.

Der Tag kam. An einem lauen Frühlingsnachmittag durften wir Streuner auf unserer Weide begrüßen. Auch die Schrepps hatten die Zeit nicht sinnlos verstreichen lassen, sondern einen Isländer gekauft, der bereits einige Tage Eingewöhnungszeit auf der Weide und in unserem wunderschönen, selbstgebauten Weideunterstand hinter sich hatte. Nun mussten der Isländer der Schrepps und unser Streuner sich aneinander gewöhnen, was anscheinend auch ohne Probleme vonstatten ging.

Allerdings schien sich Streuner, das ausgewiesene Boxenpferd nicht an den Bretterzaun gewöhnen zu wollen, mit dem wir den Unterstand unterteilt und von der Weide abgetrennt hatten. Hier nämlich sollten er und der Isländer die erste Nacht verbringen.

Streuner brauchte etwa eine halbe Stunde, um den Zaun in seine Einzelteile zu zerlegen. Erst jetzt wurde uns bewusst, was seine Vorbesitzerin meinte, als sie ihn einmal spaßeshalber "Ausbrecherkönig" genannt hatte.

Nach drei Tagen, in denen wir den Zaun um den Unterstand mehrfach notdürftig zusammengeflickt hatten, in denen wir versucht hatten, Streuner zu longieren, mit dem Ergebnis, dass er uns longierte, und in denen wir nur einen einzigen zaghaften Anlauf unternahmen, ihn zu reiten, gaben wir Streuner zurück.

Vorbei der Trennungsschmerz bei Streuners Vor- und jetzt Wiederbesitzerin, vorbei der Stress und die Angst bei meiner Frau und mir. Nur unsere Tochter konnte sich schwer mit dem Gedanken abfinden, plötzlich wieder pferdelos zu sein. Und, ehrlich gesagt, je weiter sich Streuners Hinterteil aus unserem Blickfeld entfernte, desto komischer wurde auch uns ums Herz.

Zugegeben, wir hatten mit Streuner auf's falsche Pferd gesetzt, aber sollte das wirklich das Ende gewesen sein?

Nein! Denn wenig später schon tuschelte uns eine Bekannte zu, dass ihre Bekannte einen Isländer verkaufen wollte: Hördur - unser Traumpferd!


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