Sonntags
hatten wir einen Termin auf dem Islandpferde-Hof der Familie
Kostviel-Machtnix.
Ich liebe
Doppelnamen! Sie haben so was Emanzipiertes. Ich heiße nur
Lange. Allerweltsname, einfach banal. Wenn da jemand was von
ableiten würde, ich sähe wohl ganz schön alt aus.
Eine
Stunde Fahrzeit kostete es uns, ehe wir vor den verschlossenen
Hoftoren der Familie Kostviel-Machtnix standen. Eine Klingel
gab es nicht. Auch keinen Klopfer oder etwas ähnliches, mit
dem man sich hätte bemerkbar machen können.
So ist
das eben mit den schönen und reichen Doppel-Namlern. Die möchten
nicht von so dahergelaufenen Langes, wie wir es sind, gestört
werden. Es sei denn, man hat einen Termin.
Wir hatten
einen Termin! Allerdings neigen wir dazu, immer und überall
zu früh aufzukreuzen. Kein Wunder, dass uns der Zugang zur
Wunderwelt des Machtnix'schen Hofes noch etwa drei Minuten
verwehrt blieb. Dann erschien er. Pünktlich wie eine Atomuhr:
Der Hausherr!
"Hallo,
ich grüße Sie, Familie Lange", rief Herr Kostviel-Machtnix
freudig erregt, während seine Augen sprachen: "Hereinspaziert,
ihr armen Ahnungslosen."
Nun,
zu jenem Zeitpunkt, als wir uns am Tor begrüßten, fand ich
mich weder arm noch ahnungslos. Der Familienrat, bestehend
aus meiner Frau und meiner Tochter, hatte nämlich zuvor in
wochenlanger Klein- und Feinarbeit Wissen über Islandpferde
angehäuft und auch mich daran teilhaben lassen. Als dann beinahe
folgerichtig die Absicht reifte, den Kauf eines Isis zu erwägen,
beugte ich mich dem massiven Druck des Familienrates und stellte
gezwungenermaßen fest, dass wir keinesfalls zu arm waren,
die Absicht auch in die Tat umzusetzen.
"Sie
interessieren sich also für ein Islandpferd? Da habe ich ein
paar ganz tolle Tiere, die Sie sich ansehen müssen!"
Herr
Kostviel-Machtnix dachte gar nicht daran, uns in lange Vorreden
zu verwickeln, oder, wie wir es erwartet hatten, uns durch
sämtliche Ställe seines Anwesens zu schleifen. Er steuerte
schnurstracks auf seinen mächtigen Geländewagen zu und bat
uns, einzusteigen. Schon dieses Auto nötigte uns ehrfurchtsvolles
Staunen ab und ließ in mir das erste Mal an diesem Tag das
leise Gefühl aufkommen, dass wir vielleicht doch nicht ganz
so wohlhabend waren mit unserem altweißen VW-Golf, Baujahr
1992.
"Toller
Wagen", sprach meine Frau meine Gedanken aus, "da können wir
nicht ganz mithalten."
"Alles
kein Problem", befand Herr Kostviel-Machtnix gönnerhaft und
trat das Gaspedal durch.
Nach
einer guten Viertelstunde Fahrt durch Wald, Flur und Schlaglochserie
im nicht abreißenden Nieselregen, tauchten die Objekte unserer
Begierde vor unseren Augen auf. Das heißt, zunächst sahen
wir nichts als weites Weidengrün, umrahmt von dichten Wäldern.
Doch schon ein paar Meter und einige Schlaglöcher weiter lugten
die ersten Isi-Köpfe neugierig hinter einer leichten Kuppe
hervor.
"Wie
niiiieedlich!"
Dass
Frauen aber auch immer so hemmungslos ihre Gefühle zeigen
müssen!
Herr
Kostviel-Machtnix jedenfalls quittierte diesen Gefühlsausbruch
mit einem wissenden Grinsen. Ach, was war der Mann doch sympathisch!
"Gehen
Sie nur", sagte Kostviel-Machtnix, kaum, dass wir dem geländegängigen
Vehikel entsprungen waren, "stellen Sie sich einfach mitten
unter sie."
Wir folgten
seiner Aufforderung gern, zwängten uns durch das E-Band des
Zaunes und stapften, ohne Rücksicht auf unser unangemessenes
Schuhwerk durch regennasses Gras. Kostviel-Machtnix folgte
in gemessenen Abstand, wohl wissend, wie man potentielle Käufer
einstimmt.
Die armen
Isis hingegen schienen nicht mit so geballter Zuneigung ihrer
neuen Verehrer gerechnet zu haben. Jedenfalls sahen sie das
Heranstürmen unserer Kinder als ernste Bedrohung an, der sie
sich nur durch Flucht entziehen konnten. Herr Kostviel-Machtnix
mahnte uns zu gemäßigter Gangart, empfahl uns sogar,stehenzubleiben
und zu warten, was passiert.
Wir gehorchten
brav, blieben stumm und steif stehen, wie regentriefende Vogelscheuchen,
und harrten der Dinge, die da kamen. Tatsächlich dauerte es
gar nicht lange, bis sie kamen, die Dinge. Neugierig, wie
es nur Pferde waren, trabten sie aus allen Richtungen auf
uns zu, musterten uns aus einigem Abstand, wagten sich dann
Meter um Meter vor, bis sie uns, den Hals lang ausgestreckt,
mit ihren samtweichen Mäulern untersuchen konnten. Das "Papp,
papp, papp..." ihrer Lippen, dieses flapsende Geräusch, mit
dem sie unsere Jackenärmel und vor allen Dingen Jackentaschen
abtasteten, löste prompt so einen albernen biologischen Prozeß
in uns aus. Während Frau und Tochter auf der Stelle hoffnungslos
vor der Biologie kapitulierten, wehrte ich mich noch eine
Weile, ehe auch ich in einem Meer von Glückshormonen ersoff.
Kostviel-Machtnix
stand nur da und grinste. Er kannte sich eben aus mit biologischen
Reaktionen. Und mit den unausweichlichen Konsequenzen! Er
wusste, Verliebte können nicht mehr rational denken. Und wir
waren verliebt! Meine beiden Frauen auf jeden Fall und ein
ganz, ganz kleines bisschen auch ich - zugegeben. Mein Sohn?
Naja, der wohl eher nicht, so, wie die Isis den kleinen Stöpsel
bearbeiteten.
Irgendwann
mussten wir uns trennen. Der Schmerz war groß und die Sehnsucht
brannte. Kostviel-Machtnix genoss unser Leid. Auf der Rückfahrt
zum Hof wagte meine Frau die Frage auszusprechen, die ihr
schon einige Zeit schwer auf der Seele lag und auch mich zunehmend
beschäftigte:
"Was
würde denn so ein Isi kosten?"
Unser
Gastgeber verscheuchte die Frage wie eine lästige Fliege,
indem er antwortete:
"Da machen
Sie sich mal keine Gedanken, das ist alles kein Problem."
Die Antwort
beruhigte uns ungemein. Trotzdem konnte ich nicht verhindern,
dass mich mein innerer Finanzminister zur Wachsamkeit mahnte.
Zurück
auf dem Machtnix'schen Hof war bereits alles angerichtet,
um auch unsere letzten Widerstände weichzukochen. Die Frau
unseres Gastgebers war während unserer Tour zu den Weiden
von ihrem Ausritt zurückgekehrt, hatte die Heizung im Reiterstübchen
aufgedreht, den Tisch gedeckt und kam, kaum dass wir uns in
den heimeligen vier Wänden niedergelassen hatten, mit Kaffee,
Kakao und Kuchen herein. Was brauchte es mehr, um uns zu verwöhnen?
Anspruchslos, wie wir waren, fühlten wir uns schon fast zur
großen Reiterfamilie dazugehörig. Und so entwickelte sich
sehr schnell eine muntere Plauderrunde, die von Herrn Kostviel-Machtnix
in imponierender Manier dominiert wurde. Mit leuchtenden Augen
ließ er sich zu einem flammenden Plädoyer für das Islandpferd,
seine Reiter, Halter und Züchter hinreißen. Wir hatten absolut
keine Chance, uns seiner Begeisterung zu entziehen. Wir sahen
uns schon als stolze Besitzer eines Isis vom Hof fahren und
auch die Perspektiven, die sich uns auftaten, waren rosig.
Warum sollten nicht auch wir eines Tages in einer Herde von
schnuckeligen, knuddeligen Isis stehen und sagen können: "Alles
meine!"
Zwischenzeitlich
bahnte sich hier und da die Vernunft für ein kurzes Intermezzo
den Weg, verkörpert durch so banale Fragen wie:
"Wieviel
Weide braucht man denn für so einen Isländer?" oder "Wo sollen
wir denn bloß mit so einem Pferd im Winter hin?"
Für Kostviel-Machtnix
waren solche Dinge unerheblich. Das war alles kein Problem
für ihn. Nach seiner Meinung lungerte an jeder Straßenecke
ein Bauer herum, der nur darauf wartete, so ein paar Langes,
wie wir es waren, ein Stück Weide verpachten zu können, ihnen
im Sommer Heu zu machen und Stroh zu schenken und seine geräumigen
Stallungen als Winterquartier zur Verfügung zu stellen. Was
waren wir froh, das alles zu erfahren! Dem Start als Pferdebesitzer
stand damit fast nichts mehr im Weg. Wenn nur nicht diese
alberne Frage nach dem Preis eines Isis wieder und wieder
um uns herumgeschwirrt wäre. Wie eine lästige Fliege eben.
Doch Kostviel-Machtnix war ein begnadeter Fliegenverscheucher.
Alles kein Problem! Ich bekam langsam den Eindruck, er würde
uns am Ende dieses Nachmittags eins seiner Schätzchen schenken.
Mein
Eindruck hatte mich nicht getäuscht. Als wir uns endlich zum
Aufbruch zwangen, machte er uns tatsächlich ein Geschenk.
Jedenfalls meinte er, dass sein Angebot einem Geschenk gleichkam:
"Wallach,
5-jährig, angeritten, super Gangveranlagung, wird mal ein
tolles Freizeitpferd, absolut verlässlich und ekzemfrei für
den einmaligen Sonderpreis von sage und schreibe nur 14.000
DM!"
Wir schluckten,
dankten, murmelten etwas wie: "Wir melden uns wieder" und
schlichen durch das Hoftor auf unseren altweißen VW-Golf,
Baujahr 1992 zu. Der war zwar keine 14.000 DM mehr wert. Aber
den kannten wir und wussten, was wir an ihm hatten.
|