Profis, Laien, Freizeitreiter
[13.10.2000 • Text: Roland Lange]

Wir waren sowas von froh! Überall um uns lauerten fachkundige Menschen, die nichts anderes im Sinn hatten, als uns zu helfen.

Und, ehrlich gesagt, Hilfe hatten wir bitter nötig! Denn, so wusste es bald jede Menschenseele, der wir je begegnet waren (und auch diejenigen, denen wir nicht begegnet waren), dass wir ein bisschen "balla-balla" sein mussten.

Wo hatte es denn das jemals zuvor gegeben, dass sich Menschen, die noch nie in ihrem Leben vernünftigen Reitunterricht genossen hatten, einen Isländer zulegen, mit der Absicht, den auch noch zu reiten? Einfach so! Ohne jedes Know-how!

Solchen Wahnsinnigen musste man einfach helfen! Nicht unbedingt aus Barmherzigkeit, nein! Eher aus dem Bedürfnis heraus, Schaden von der übrigen Menschheit abzuwenden. Man stelle sich doch nur mal vor, diese Typen brettern mit ihrem wildgewordenen Isi alles über den Haufen, was sich ihnen in den Weg stellt. Und das nur, weil sie es nie gelernt haben, dass so ein Tier anders zum Halten gebracht wird, als ein Auto. Ein Isi, der über vier Gänge verfügt, hat deshalb nämlich nicht automatisch eine Bremse! Aber das mussten Laien wie wir erst einmal kapieren!

Doch wir brauchten uns keine Sorgen zu machen. In der Obhut unserer Freunde waren wir sehr gut aufgehoben. Da waren zunächst mal die Schrepps, unsere Weidepartner. Sie waren das Beste, was uns passieren konnte, denn sie waren Profis. Das hatten wir bisher zwar noch nicht so richtig gemerkt, aber so ist das eben mit echten Profis: Die trommeln und prahlen nicht mit ihrem Können, sondern setzen es dann ein, wenn es gefordert ist. Und jetzt, da wir unseren Hördur auf unserer Gemeinschaftsweide hatten und etwas hilflos aus der Wäsche blickten, offenbarten sie sich:

Seit Jahren schon sei sie im Umgang mit nordischen Kleinpferden geschult, teilte uns Frau Schrepp eher beiläufig mit, als wir wieder einmal vor unserem Hördur standen, ihm in seine treuherzigen Augen blickten und vor lauter Fragen nicht mehr ein noch aus wussten.

Wir waren erschüttert ob dieser Offenbarung, was Frau Schrepp dazu bewog, noch ein paar Kohlen nachzulegen und uns zu erklären, dass es sich bei den nordischen Kleinpferden um zwei Shetland-Ponys gehandelt habe, die sie als kleines Kind betreuen musste. Sie vermied es wohlweislich, die Ponys als ihre damaligen Spielkameraden zu titulieren. Nein, sie musste betreuen! Das war weit mehr, als nur spielen. Und diesen reichhaltigen Erfahrungsschatz, in frühester Jugend gesammelt, könne man ja wohl ohne Abstriche auch auf Islandpferde anwenden.

Was also lag näher, als unsere Sorge ob der riesigen Weidefläche zum Beispiel, die sich Hördur und seinen beiden Kumpanen bot, mit einer abfälligen Handbewegung aus der Welt zu wischen.

"Alles Quatsch", belehrte uns Frau Schrepp, "dieses ganze Portionieren bringt doch nichts. Wenn die keinen Hunger mehr haben, hören die ganz allein auf, zu fressen. Das sagt denen schon ihr Instinkt. Meine Shetties jedenfalls waren Tag und Nacht auf der Weide."

Fürs erste waren meine Frau und ich etwas beruhigt, aber im Inneren nagten die Zweifel weiter. Konnte es sein, dass all' diese Leute, deren Fachbücher wir gelesen hatten, hoffnungslose Laien waren, die sich, bevor sie ihr Buch schrieben, lieber Rat bei Frau Schrepp hätten holen sollen? Und was war mit Hördur? Was war mit seinem Instinkt? Hatte er etwa keinen? Er dachte jedenfalls gar nicht daran, satt zu sein, sondern fraß und fraß und fraß... Zugegeben, seine beiden Kumpels hörten da schon etwas mehr auf ihre innere Stimme und hoben hin und wieder den Kopf, während Hördurs Nase weiter im fetten Gras wühlte.

Auch Elke, unsere Freundin von der Fraktion der Großpferdereiter und Unterrichtende im kreisstädtischen Reitverein hatte uns ihre Hilfe aufgenötigt. Wusste sie doch, wie wenig wir reiten konnten und wusste sie auch, wie viel sie reiten konnte. Sie konnte sogar so viel reiten, dass sie von diesem Überfluss an Können gern etwas an uns abgab. Das heißt, zunächst einmal musste Hördur gebändigt werden, denn der hatte ihrer Meinung nach nicht allzu viel drauf.

"Ihr wollt ja schließlich ein Pferd haben, was mit euch nicht macht, was es will, sondern pariert, oder?"

Klar! Wollten wir.

"Dann werde ich ihn mal ein bisschen 'rannehmen."

Elke wirkte überaus entschlossen. Das hätte uns eigentlich beunruhigen müssen. Aber wir wollten ja unbedingt ein Pferd haben, das pariert. Hätten wir geahnt, dass "parieren" in Elkes Augen bedeutete, ein Pferd muss seinen Willen aufgeben, wahrscheinlich hätten wir sie sofort ihres Postens als Zureiterin enthoben.

So aber durfte Elke unseren Hördur 'rannehmen. Gestiefelt und tatsächlich auch gespornt trat sie ihren Dienst an und machte sich über Hördur her mit der gleichen Vehemenz, die auch ihre "Großen" zu spüren bekamen. Aber ein Isi, und besonders unser Hördur, war eben kein "Großer". Und anstatt zu tölten (was Elke nicht konnte und offensichtlich auch nicht können wollte) gebärdete sich Hördur immer unwilliger und er ließ es auf einen echten Machtkampf mit Elke ankommen. Die alles entscheidende Schlacht fochten die Zwei an einer Pfütze aus, die Hördur ums verrecken nicht durchqueren wollte. Hördur hasste Pfützen wie die Pest und Elke hasste Pferde, die nicht durch Pfützen gingen.

Schließlich tat Hördur das, was ein Reiter noch mehr hasst, als nicht durch Pfützen gehende Pferde: Er stieg. Immerhin war Elke gewandt genug, um diese Situation auszubügeln, aber von diesem Augenblick an war auch die restliche Liebe zu Hördur, sofern denn überhaupt jemals Liebe da gewesen war, in ihr verloschen.

Meine Frau und ich spürten, dass etwas geschehen musste, sollten weitere Umerziehungsversuche nicht in einer Katastrophe enden. Es gab nur zwei Möglichkeiten. Entweder Hördur ging oder Elke. Wir entschieden uns für Hördur und gegen Elke! Im Nachhinein betrachtet war das ein weiser Entschluss, auch wenn Hördur ab sofort als "gemeingefährlich" eingestuft wurde und uns von einer verbitterten Elke ein baldiges und schlimmes Ende unserer noch nicht einmal richtig begonnenen Reiterkarriere prophezeit wurde.

Doch bevor uns dieses schlimme Ende ereilte, machte noch jemand Anstalten, uns zu helfen. Ein Mann, den wir bis dahin gar nicht kannten, wurde uns wärmstens von einer Bekannten empfohlen als der absolute Islandpferdekenner weit und breit - jedenfalls gab es ihrer Meinung nach im Umkreis von dreißig Kilometern keinen besseren. Er sei nicht nur ein Kenner der Szene und ebenso in der Szene bekannt, er sei auch ein hervorragender Islandpferdereiter, auf dessen Urteil man sich verlassen könne. Wenn der sich unseren Hördur mal anschauen und ihn vielleicht auch reiten würde, so unsere Bekannte, dann könne er sofort sagen, was mit dem Pferd los sei und uns auch die entsprechenden Ratschläge erteilen. Sie bot sich sogar an, ihn um Hilfe zu bitten.

Wir waren unserer Bekannten echt dankbar, denn wir, die armen, ahnungslosen Laien, hätten es doch nie gewagt, so einen Superstar überhaupt anzusprechen, geschweige denn, um etwas zu bitten! Was waren wir überrascht, als wir hörten, dass dieser Held der Islandpferde-Szene zugesagt hatte und uns an einem der kommenden Sonntage eine Demonstration seines Könnens geben wollte.

Eigentlich war er ja ganz nett, dieser Mann, dessen Namen ich dummerweise vergessen habe. Er gebärdete sich durchaus natürlich und schien ernsthaft bereit, uns an seinem Wissen und seiner Erfahrung teilhaben zu lassen, auch wenn er das auf etwas griesgrämige und sehr wortkarge Art tat. Immerhin hatte er eine Reithose an und einen Helm dabei - ein sicherheitsbewusster Mensch also und kein Aufschneider. Er wurde uns ein wenig sympathisch. Und das blieb er auch, bis er sich auf Hördur gesetzt und eine kleine Runde über die Feldwege gedreht hatte.

Als er wieder zu uns zurückkehrte und in unsere hoffnungsfrohen Augen blickte, schien uns sein Gesicht noch ernster, als es ohnehin schon war.

"Das Beste ist, wenn Sie ihn so schnell wie möglich verkaufen", sagte er mit Grabesstimme, "das Pferd ist lebensgefährlich!"

"Wieso?"

Er schien zu merken, wie die Farbe aus unseren Gesichtern wich und unsere Augen Entsetzen signalisierten. Das ließ ihn etwas versöhnlicher hinzufügen:

"Naja, wenn er eine gute Ausbildung bekommt - so ein bis zwei Monate, dann kann man ihm seine Macken vielleicht abgewöhnen. Er ist ja sonst ganz in Ordnung. Nur überhaupt nicht gehorsam. Reagiert auf nichts. Also Ihnen würde ich nicht empfehlen, ihn in dem Zustand zu reiten."

Weil wir immer noch nicht wieder gut bei Stimme waren, fügte er noch hinzu:

"Ich kenne da eine gute Adresse. Da können Sie Ihren Hördur hinbringen. Und dann sollten Sie auch gleich einen Reitkurs belegen. Das würde ich Ihnen auf jeden Fall empfehlen. Und wenn Sie auf diesen Hof gehen, da lernen Sie wirklich was!"

Warum erinnerte mich dieser Mann plötzlich an einen Versicherungsvertreter? Ich bekam diesen pelzigen Geschmack auf der Zunge, den ich immer dann bekomme, wenn mir etwas überhaupt nicht schmeckt.

Lebensgefahr, Beritt, Reitkurs! Aus dieser Perspektive hatte ich das Abenteuer "Islandpferd" noch gar nicht betrachtet. Und, ehrlich gesagt, ich wollte es auch gar nicht. Es musste doch anders gehen!

Zum Glück fiel Hördur Tags darauf eine Eisen ab und Schmied Rolf musste 'ran.

"Ist Hördur lebensgefährlich?" fragte ich ihn. Er musterte mich einen Augenblick, hatte, wie es schien, das Gefühl, ich wolle ihn verscheißern, meinte aber, als er sich des Ernstes meiner Frage bewusst war:

"So ein Blödsinn! Ich habe schon mit einigen Pferden zu tun gehabt. Wer immer dir das gesagt hat, der tickt nicht richtig."

Mehr wollte ich nicht wissen! Diese Antwort war für mich das Signal, endlich mutig, zuversichtlich und blauäugig meinen Hördur zu besteigen und Reiten zu lernen - frei nach dem Motto:

"Ich lerne's am besten, wenn ich's tue."


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