Hördur
[28.08.2000 • Text: Roland Lange]

Hördur also hieß er. Wir sollten ihn ruhig mal anschauen. Könnte sein, dass wir genau nach solch einem Pferd suchten.

Die hinter uns liegenden Niederlagen waren vergessen, und das Isi-Fieber brannte aufs Neue lichterloh. Nun denn, Termin vereinbart, ins Auto und los. Es war wieder einmal Sonntag. Kühl und gelassen wollten wir die Sache dieses Mal angehen. Schließlich hatten wir unsere Erfahrungen, wussten, was wir wollten und überhaupt...

"Wenn der auch so viel kosten soll, kann diese Frau es vergessen!" sagte meine Frau bestimmt und beherrscht.

Ich konnte dem nur zustimmen.

"Und wenn er nicht geländesicher ist und wenn er nicht vernünftig töltet und wenn er schon mal so richtig krank war... also, mal eben so kaufe ich den bestimmt nicht!" ergänzte ich, die Hände fest ums Lenkrad gekrallt und den Blick starr auf die Straße vor mir gerichtet.

Ich fand mich ganz schön toll, so als Experte in Sachen Pferdekauf. Meine Tochter fand das offensichtlich nicht.

"Warum fahren wir da überhaupt hin, wenn wir ihn sowieso nicht kaufen wollen?" plärrte sie. "Ich will ihn aber haben!"

Ihre äußerst zickige Reaktion reichte aus, um die ach so kühle Fassade ihrer Eltern zum Einsturz zu bringen. Ein Wort gab das andere und binnen weniger Minuten spielten sich tumultartige Szenen im Inneren unseres Autos, dem immer noch weißen VW-Golf, Baujahr 1992, ab.

Reichlich zerfleddert, aber mit glühenden Wangen und einem sehnsuchtsvollen Brennen im Herzen erreichten wir den Hof am Rand des Sollings, wo wir sowohl auf Hördur, als auch auf dessen Noch-Besitzerin, eine Frau Berends, treffen sollten.

Doch zunächst sahen wir nur eine Art geräumiges Gartenhaus an der Peripherie eines Bauernhofes stehen, umgeben von zwei kleineren Wiesen je zur Linken und zur Rechten. Doch der zweite Blick bereits (unser mittlerweile geschulter Kennerblick nämlich) bescherte uns zwei in einer leichten Senke grasende Pferde, bei denen es sich um Isis handeln musste. Folgerichtig musste eins der grasenden Pferde "unser" Hördur sein - sofern wir auf dem richtigen Hof gelandet waren. Da hatten wir allerdings leichte Zweifel, denn weit und breit war keine Menschenseele zu sehen, also auch Frau Berends nicht.

Wir beschlossen, der Frau einige Zeit zu geben, um zu erscheinen und richteten unterdessen unser Augenmerk auf die beiden Isis, von denen uns besonders der wohlgenährte Fuchs gefiel, dessen Fell in der Sonne glänzte, während die Rappstute (dass es eine Stute war, erfuhren wir erst später) etwas deprimiert wirkte.

"Na mein Guter? Komm... komm...", gurrte meine Frau und schmolz fast dahin, als sich der Fuchs tatsächlich in Bewegung setzte und auf uns zusteuerte. "Er mag mich!" jubelte sie.

Der Fuchs ließ sie in dem Glauben. Warum sollte er auch schon zu Beginn unserer großartigen Freundschaft preisgeben, dass er ein äußerst verfressenes Stück war, nur darauf aus, immer und überall etwas zwischen die Zähne zu bekommen.

Dann endlich, nach etlichen weiteren vermeintlichen Liebesbeweisen seitens des Pferdes kam Frau Berends auf den Hof gerauscht. Ebenso gut proportioniert wie ihr Fuchs näherte sie sich freundlich und etwas kurzatmig.

"Ja, er ist ein wahres Leckermaul", kommentierte sie lachend die Bemühungen ihres "Schätzchens", meiner Frau irgend ein essbares Krümelchen zu entlocken, ehe sie uns offiziell begrüßte.

Ein paar belanglose Sätze genügten, um festzustellen, dass wir uns sympathisch waren - für einen Pferdekauf nicht ganz unwichtig, wie wir meinten. Dann war Frau Berends auch schon mitten im Dozieren. Über ihren Hördur, über Islandpferde, über Haltung, Aufzucht und Pflege. Geballte Information lud sie uns auf, doch es wurde uns nicht zu schwer, denn es war die sorgende Mutter, die aus ihr sprach. Ihre Pferdchen waren die Kinder, die sie hegte und pflegte, denen sie alles Gute gab, was sie geben konnte. Wir waren fasziniert und gerührt über so viel Pferdeliebe. Ja, bei so einer Person ließ sich gut Pferde kaufen! Die meinte es ehrlich mit der Kreatur und mit ihren Mitmenschen!

Wir richteten Hördur für einen ersten Proberitt her. Hatten wir an unserem ersten Fehlkauf, dem guten Haflinger "Streuner" die Pferdepflege noch sehr grobmotorisch betrieben, so erhielten wir an Hördur eine intensive Einweisung im differenzierten Umgang mit Striegel, Bürste, Hufkratzer, Sattel und Zaumzeug. Wir versuchten, uns nicht blöder anzustellen, als wir waren, denn manche Pferdebesitzer, so ging die Sage, sollten angeblich dazu neigen, nicht blind jedem Käufer ihr Pferd anzuvertrauen.

Frau Berends beäugte denn auch sehr misstrauisch alles, was wir ihrem Hördur antaten. Bei mir schien sie sogar noch etwas misstrauischer zu sein. Als schließlich alles zu ihrer Zufriedenheit erledigt war, ging es auf die angrenzende Wiese zum Test. Es wurde ein munteres Treiben, wie im Hippodrom auf dem Jahrmarkt. Einer von uns saß oben und ein anderer führte das arme Tier, das sicher schon bessere Reitstunden erlebt hatte, im Kreis herum. Meist im Schritt, aber dann auch wieder einen Zacken schneller, was bei mir unweigerlich zu den schon bekannten Verkrampfungen führte. Aber auf dem guten Hördur schien mir das alles plötzlich gar nicht so schlimm. Im Gegenteil: Ich machte in diesem Augenblick meine ersten positiven Erfahrungen auf dem Rücken eines Pferdes, die meine Seele in ungeahnte Euphoriezustände versetzten. Nur mit Mühe konnte ich einen verbalen Gefühlsausbruch verhindern und rettete mir damit wahrscheinlich das Leben. Denn mochte dieses Pferd auch noch so charakterfest erscheinen, ob es meinem wilden Kriegsgeheul standgehalten hätte, wage ich zu bezweifeln...

Als Frau Berends schließlich allen Ernstes behauptete, Hördur ließe sich sogar als Westernpferd missbrauchen ("bei der exzellenten Ausbildung, die er genossen hat, alles kein Problem..."), war ich vollends von dem Pferd überzeugt. In mir schlummerte schon immer ein heimlicher John Wayne. Vielleicht konnte ich den bald aus mir herauslassen...

Mann, was waren wir glücklich, als wir wieder gen Heimat schnurrten. Wir hatten unser Traumpferd gefunden, der Preis war zwar hoch, aber nicht zu hoch und auch dieses kleine, unscheinbare, nebensächliche Allerweltsproblem, das Frau Berends unverständlicherweise irritiert hatte, war beseitigt.

"Nee, reiten können wir noch nicht", hatten wir ihr irgendwann zwischendurch gesagt und schnell hinzugefügt, als ihre Gesichtsfarbe ins Gräuliche wechselte, "aber Elke, unsere Freundin und hervorragende Großpferdreiterin wird uns das schon beibringen."

"Aber Islandpferde, das ist schon anders, das wissen Sie hoffentlich?" meldete Frau Berends gewisse Zweifel an.

"Das kann die", bügelten wir den Einwand flach, "die liest sich das mit dem Tölt in 'nem Buch durch und dann packt die das!" Wir waren wirklich davon überzeugt. Frau Berends schließlich auch...

An irgend einer Stelle schienen Frau Berends und wir an jenem Nachmittag jedoch aneinander vorbeigeredet zu haben. Das war uns gar nicht aufgefallen. Erst, als wir schon alle Vorkehrungen getroffen hatten, um Hördur zu uns zu holen und bei Frau Berends wegen eines Abholtermins anriefen, behauptete sie allen Ernstes, sie habe eigentlich gar nicht vorgehabt, das Pferd zu verkaufen. Sie habe uns so verstanden, dass wir uns Hördur nur einmal ansehen wollten, um zu wissen, ob ein derartiges Pferd unseren Vorstellungen entspricht.

"Die redet sich doch raus", schoss es mir durch den Kopf, "die hat mich gleich so komisch angeguckt, als ich ihren Hördur mit dem Striegel..."

Wir verstanden die Pferdewelt nicht mehr. Wir zweifelten am Verstand der Spezies der Pferdeverkäufer. Mit einem Satz: Wir waren sprachlos. Aber nicht für lange! Während ich noch im Jammertal hockte und Ursachenforschung betrieb, erwachte plötzlich die Kämpfernatur in meiner Frau. Das schien wohl auch Frau Berends am anderen Ende der Telefonleitung zu spüren. Sie schien etwas zu ahnen von dem unumstößlichen Willen meiner Frau, dieses Pferd zu besitzen. Ob ihr das Angst machte, ob sie Einsicht zeigte, ob sie nicht verantwortlich sein wollte, wenn sich meine Frau etwas antat oder ob sie einfach nur Mitleid hatte, wer wollte das sagen. Tatsache jedenfalls war, dass Hördur nach diesem bewegenden, etwas feuchten, aber ganz bestimmt emotionsgeladenen Telefongespräch uns gehörte. Wir waren stolze Besitzer eines Isländers. Endlich! Und die ganze Familie freute sich darüber: Mama, Papa, Tochter... Nur der kleine Sohn, dessen seltsame Neigungen uns ja schon öfter etwas irritiert hatten, der scherte mal wieder aus der kollektiven Glückseligkeit aus. Ihm war ein Trecker immer noch das liebste Lebewesen. Pferde waren in seinen Augen einfach nur lästig. Basta!


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