Es
hätte nie passieren dürfen
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[30.06.2000
• Text: R. Lange] |
Warum habe ich sie nur nicht bemerkt? Diese leuchtenden Augen!
Ich weiß gar nicht, wessen Augen heller leuchteten - die meiner
Frau oder die meiner Tochter.
Ist im Nachhinein auch ziemlich egal. Ich war in diesem Minuten
voller Magie einfach nicht mehr Herr meiner Sinne. Verzaubert,
verhext, angetörnt, high, vielleicht hatte mir die Sonne auch
nur das Gehirn angesengt. Anders kann ich das nicht erklären,
was ich mich sagen hörte:
»Wenn wir je ein Pferd bekommen, dann muß es ein Isi sein.«
Was war passiert? Bis zu jenem Tag im Frühsommer des Jahres
1994 war ich ein ganz normaler Mensch mit einer Frau und zwei
Kindern, mit viel zu vielen Träumen und viel zu wenig Geld.
Und in diesen Träumen kam so ziemlich alles vor, nur eben keine
Pferde - höchstens in meinen Alpträumen, aber die hatte ich
,Gott sei Dank, nur äußerst selten.
Was störte es mich, daß meine Frau Pferde fast noch inniger
liebte, als mich? Sie hatte schon als Kind eine Allergie gegen
Pferde entwickelt, die es ihr unmöglich machte, diesen, ihrer
Meinung nach, göttlichen Tieren zu nahe zu treten. Damit hatte
ich die Gewähr, mich nie eingehender mit dem Thema Pferde beschäftigen
zu müssen.
Zwar entwickelte meine Tochter mit der Zeit eine ähnlich abgedrehte
Pferdeliebe, wie ihre Mutter, aber sollte ich mir darüber Gedanken
machen? Zwar betreute meine Tochter schon bald »Juri«, einen
mehr als zwanzig Jahre alten Trakehner-Wallach. Aber konnte
mich das aus dem Gleichgewicht bringen? Zwar trat meine Tochter
einem Reitverein bei, und ich fuhr sie mehr als einmal zur Reithalle
und bestaunte ihre Reitkünste. Aber mußte ich mir deshalb schon
irgend eine Beziehung zu Pferden nachsagen lassen? Nein, mußte
ich nicht! Ich fühlte mich rundum wohl und wunderbar resistent
gegen das Pferdefieber.
Ich begleitete meine Tochter auch sehr oft, wenn sie ihre Runden
durch die Feldmark drehte. Sie hoch zu »Juri«, ich hoch zu Drahtesel.
Na und? Andere Väter begleiten ihre Kinder ins Schwimmbad, obwohl
sie wasserscheu sind. Klar, vielleicht hätte ich mich nicht
überreden lassen dürfen, auf »Juri« zu steigen. Obwohl, man
möchte ja nicht vor seinem Kind den Eindruck erwecken, man sei
feige.
Es war schon komisch da oben in schwindelnden Höhen auf dem
Pferderücken. Und als das Ungetüm schließlich einen Schritt
vorwärts machte, rutschte mir mein Herz buchstäblich in die
Hose. Doch das ließ ich meine Tochter nicht merken. Sie sollte
sich später vor ihren Mitschülerinnen nicht für ihren Vater
schämen müssen!
Hätte sie nur ihrer Mutter nicht von meiner Heldentat erzählt!
Während ich froh war, wieder heil zuhause angekommen zu sein
und mir im Inneren schwor, jedem Pferderücken in Zukunft aus
dem Weg zu gehen, strickte meine Frau an falschen Hoffnungen.
Ich hätte mir, verdammt nochmal, Sorgen machen müssen! Ab jenem
Zeitpunkt nämlich, als meine Frau anfing, aktiv gegen ihre Allergie
anzugehen. Spätestens aber, als ich die Augen nicht mehr davor
verschließen konnte, daß ihre Anti-Allergie-Bemühungen Erfolg
zeigten. Was aber tat ich? Statt den besorgten Ehemann zu spielen
und ihr einzureden, sie bilde sich das Abklingen ihrer Allergie
nur ein, freute ich mich über ihre Genesungsfortschritte wie
ein kleines Kind und merkte gar nicht, wie ich mir mein eigenes
Grab schaufelte.
Ich hätte es wissen müssen! Steter Tropfen höhlt den Stein.
Ich hätte es wissen müssen, als meine Frau das erste Mal über
die Möglichkeit sprach, ein eigenes Pferd zu haben. Wie konnte
ich nur so leichtsinnig sein, mich auf die Wirklichkeit zu verlassen?
Die Wirklichkeit, die besagte, daß auf einem Grundstück mit
Einfamilienhaus, Schuppen und gepflegter Rasenfläche unmöglich
ein Pferd gehalten werden konnte. Die Wirklichkeit, die mich
als jemanden auswies, der weder Weiden, noch landwirtschaftliche
Geräte, noch sonst irgend etwas besaß, das ihn zur Großtierhaltung
befähigte. Die Wirklichkeit, die es uns nicht erlaubte, ein
Pferd in einem Reitstall unterzustellen, wo es in Seelenruhe
unser Konto leer fressen durfte. Alle Wirklichkeiten hatte ich
in mein Kalkül mit eingeschlossen. Nur die eine nicht: Frauen
haben zuweilen die unangenehme Fähigkeit, alles zu erreichen,
was sie sich in den Kopf setzen.
Es hätte nie passieren dürfen, daß wir uns an jenem Sonntagmorgen
in unser Auto setzten und nach Duderstadt fuhren, um uns die
Landesausstellung anzuschauen. Der Weg von der Kasse führte
uns direkt zu den Freianlagen des Geländes. Viel kleines Getier
war zu bestaunen und auch viel Gerät. Augen und Seele waren
bereit, all die wunderbaren Eindrücke um uns herum zu sammeln
und aufzunehmen. Die Sonne schien und unsere Herzen weiteten
sich zu offenen Scheunentoren. Und genau in dem Augenblick,
als sich auch meine Torflügel unter vernehmlichen Quietschen
ihrer eingerosteten Scharniere sperrangelweit geöffnet hatten,
erblickte ich sie: die Isis.
In einiger Entfernung grasten sie auf einer Koppel. Beschienen
von der Sonne glänzte ihr Sommerfell und der leichte Wind spielte
in ihren dichten, langen Mähnen. Ich kannte Islandponys bisher
nur von Fotos, die ich mir, wie die Fotos anderer Pferde auch,
zu allen, meist unpassenden, Gelegenheiten ansehen mußte. Ich
war stolz auf mein Wissen, als mir meine Tochter auf Anfrage
bestätigte, daß ich mich nicht getäuscht hatte und ich tatsächlich
Isis vor mir sah. Ich war hin und her gerissen von der seltsamen
Anmut und Eleganz, die so ganz und gar nichts mit der anderer
Pferderassen gemein hatte. Ich spürte das herzhafte, robuste
und liebenswürdige Wesen der Tiere bis zu mir hin. Und schon
waren sie durch meine geöffneten Scheunentore hineingaloppiert.
Es hätte nie passieren dürfen... und doch war es geschehen.
Ich war von einer Minute zur anderen infiziert vom Isi-Fieber
und brachte nur noch den einen Satz über die Lippen, mit dem
ich mein Schicksal besiegelte:
»Wenn wir je ein Pferd bekommen, dann muß es ein Isi sein.« |
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