Zu meiner Schande muss ich es gestehen – Mysla habe ich ausschließlich wegen ihrer Farbe gekauft! Mein erstes eigenes Pferd war nämlich eine dunkle Graufalbstute völlig unbekannter Herkunft. Ich habe viele herrliche Jahre mit diesem einmaligen Pony verbracht, und auch als ich schon längst auf Isländer „umgestiegen“ war, war mir die inzwischen steinalte Dame die Liebste von allen... Als ich sie wegen einer unheilbaren Krankheit töten lassen musste, erinnerte ich mich an eine Veranstaltung auf dem Ziegelhof, die wir im Herbst 1995 besucht hatten – dort war im Rahmen eines Showprogramms eine ganze Ovalbahn voller Graufalb-Islandfohlen vorgeführt worden und schon damals kam mir der Gedanke, dass hier möglicherweise mein Nachwuchspferd heranwuchs.
Und so war es dann Liebe auf den ersten Blick, als ich die inzwischen 3-jährige Mysla inmitten der Stutenherde sah. Nichts konnte mich von meiner Entscheidung abbringen – weder der stolze Preis noch die offensichtliche Tatsache, dass sie ein sehr zierliches Persönchen ist (über 1,33 m Stockmaß ist sie nicht hinaus gekommen!) und schon gar nicht der Hinweis der Züchterin, dass ich es hier mit einem hartnäckigen Traber zu tun hätte, der den Weg zum Tölt möglicherweise nur schwer finden würde. Genauso wenig interessierte mich die feine Abstammung – mit Ófeigur frá Flugumyri und Gustur frá Kröggólfsstöðum hatte Mysla gleich zwei berühmte Großväter und auch die 8,0 bei der Fohlen-Feif war für mich nicht mehr als eine Zugabe!
Dass ich eine sehr gute Wahl getroffen hatte, zeigte sich in der Folgezeit immer wieder. Dank der sachkundigen Aufzucht auf dem Ziegelhof war Mysla im Umgang völlig unproblematisch und auch das Anreiten verlief unspektakulär. Schon nach wenigen Lektionen in Boden- und Longenarbeit setzte ich mich einfach drauf und hatte vom ersten Augenblick an ein Pony, das mit Begeisterung vorwärts ging und mich in Schritt, Trab und Galopp durch die Ovalbahn trug, als hätte sie das schon immer getan! Dass sie keinerlei Töltansätze zeigte, beunruhigte mich damals überhaupt nicht, schließlich sollte sie nach rund zwei Monaten Arbeit unter dem Sattel noch einen Winter ausschließlich auf der Koppel verbringen. Im folgenden Frühjahr bekam sie ihren ersten Beschlag und ich ritt sie von da an regelmäßig im Gelände – ein Pony ganz nach meinem Geschmack: immer leistungsbereit, immer in flottem Tempo, ohne dass man sie treiben musste, gelegentlich etwas zickig und immer gern für einen kleinen Machtkampf zu haben! Je weiter wir in der Ausbildung vorankamen, umso deutlicher wurden ihre überragenden Grundgangarten: ein energischer, taktklarer Schritt, ein wunderschön gesprungener Galopp und vor allem ein herrlicher, federnder Trab, der meine Trakehnerfreundin anerkennend sagen ließ: „Wenn das ein Traki wäre, wäre das eine glatte 8!“
Natürlich war ich stolz auf mein Pony, aber in Sachen Tölt kam ich nicht weiter, trotz aller Anstrengung zeigte sich nicht der geringste Ansatz! Ich fand mich allmählich damit ab, einen tollen 3-Gänger zu besitzen. Als Mysla schon sechs Jahre alt war, kam plötzlich die Wende: wie so oft auf dem Heimweg ritten wir die letzten 200 m am langen Zügel im Schritt auf einem schmalen Asphaltsträßchen, als plötzlich von hinten ein riesiger Traktor kam, der unsere kleine Reitergruppe in eine gewisse Panik versetzte – und da waren sie plötzlich: Myslas erste Töltschritte! Allerdings gelang es mir in den nächsten Wochen nicht, dies zu wiederholen, und ich musste mir eingestehen, dass hier ein Profi ran musste! Die ersten drei Wochen im Beritt waren für alle Beteiligten frustrierend: Mysla glänzte als außergewöhnlicher Traber, aber Tölt – Fehlanzeige! Dann eines Abends der Anruf: „Gestern ist Mysla ein paar Schritte getöltet und heute hat sie schon eine ganze Runde in der Ovalbahn geschafft!“ Am folgenden Wochenende fuhren wir die rund 400 km, um das „Töltwunder“ zu besichtigen – und was das Beste war, ich konnte den 4. Gang sofort nachreiten, wie das Foto beweist, das uns bei unserer allerersten Töltrunde zeigt. Von da an war alles ganz einfach: Mysla ist bis zum Mitteltempo eine absolut sichere Tölterin, die letztlich noch angenehmer zu reiten ist als meine anderen Isis, die den Tölt zwar sehr viel leichter und schneller gefunden haben, dafür aber immer mal wieder mit Passtendenzen zu kämpfen haben.
Aber nach wie vor faszinierten mich vor allem der tolle Trab und die außergewöhnliche Leistungsbereitschaft und Coolness meines Ponies – sind dies doch genau die Eigenschaften, die ein Distanzpferd auszeichnen! Und Mysla übertraf auch hier meine Erwartungen: schon in unserer ersten „Saison“ wurden wir zusammen mit zwei anderen Isireitern aus meinem Stall 4. im Thüringer VDD-Championat – gegen Großpferde und Araber! Am allermeisten habe ich mich aber bei der Schlussbesprechung nach einem Ritt in schwierigem Gelände bei extremer Hitze gefreut: der leitende Tierarzt, ein ausgewiesener Araberfan, musste mit einer gewissen Verwunderung feststellen, dass Isis selbst unter solchen Bedingungen Araber schlagen und dabei topfit ins Ziel kommen können... Als dann aber eine erfahrene Distanzreiterin die Bemerkung fallen ließ: „Schade, dass die kleine Graue kein Araber ist, sonst könntest Du ganz vorne mitreiten!“, wusste ich nicht so recht, ob ich mich freuen oder ärgern sollte!
Leider ist uns Myslas außergewöhnliche Leistungsbereitschaft in diesem Frühjahr zum Verhängnis geworden: nach einer 3-monatigen Winterpause war sie so offensichtlich froh, endlich wieder laufen zu dürfen, dass ich sie wohl unabsichtlich überfordert habe. Auf einem unserer ersten Trainingsritte gegen die Uhr zog sie sich eine Sehnenverletzung zu, die uns sehr viel Kummer macht. Erst allmählich fange ich nach einigen Wochen Handpferdearbeit wieder an, sie zu reiten. Sie ist begeistert dabei, töltet wunderbar und hat sich erstaunlich schnell wieder eine gute Grundkondition angelaufen – ich hoffe, dass sie wieder ganz gesund wird und ich bald wieder mit meinem „isländischen Araber“ glänzen kann!