Viele junge Leute träumen davon, für einige Zeit auf
Island zu leben und zu arbeiten. Sie wollen nicht nur typische Touristen-Attraktionen, sondern ‚wirklich’ Land und Leute, sprich: die isländische Lebensart, kennen lernen. Jessica Ebert, 24 Jahre, Bürojob, hat es gewagt: Sie hat den Traum in die Realität umgesetzt und fünf Monate auf einem Pferdehof in Island verbracht. „Taktklar“ wollte wissen, wie es ihr dabei ergangen ist, ob ihr Traum zum Alptraum wurde, wie die Pferde auf Island gearbeitet werden oder, was sie jungen Leuten rät, die es ihr gleichtun möchten. Lesen Sie hier unser Interview.
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TK (Taktklar): Jessica, wenn Du jetzt an Deinen Island-Aufenthalt zurückdenkst, was kommt Dir spontan in den Sinn?o JE (Jessica Ebert): Ich bin froh, dass mir mein Arbeitgeber diesen Sonderurlaub bewilligt hat. Es war eine anstrengende, aber schöne Zeit und ich habe sehr viel über mich selbst gelernt. Ich würde es sofort wiederholen.
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TK: Warum bist Du nach Island aufgebrochen? Wie kam es dazu?o JE: Auslandsaufenthalte und Sprachen haben mich immer schon interessiert. Nach dem Abi habe ich gleich meine Ausbildung begonnen und danach sofort eine Stelle angeboten bekommen. Da sagt man auch nicht nein. Während der Ausbildung habe ich von der Möglichkeit gehört, in den Sonderurlaub zu gehen und nach den ersten Berufserfahrungen mit dem Gedanken gespielt, sie zu nutzen.. Mir war klar: Wenn ich es jetzt nicht mache, mache ich es nie mehr! Und wenn ins Ausland gehen, warum nicht nach Island? Mein Hobby sind ja schließlich Islandpferde und ich war dort vorher schon dreimal als Tourist. Auf den Reisen bekommt man aber nur einen oberflächlichen Eindruck; ich wollte das Land, die Leute und die Pferde richtig kennen lernen.
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| Freyja Hílmarsdóttir flott unterwegs (li.) und das Schild zu ihrem Gestüt Votmúli (re.). | |
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TK: Wie lange warst Du auf Island? Wo bzw. bei wem bist Du ‚gelandet’? Wie sah es mit dem ‚Job’ aus?o JE: Ich war von Juni bis Oktober 2002 auf dem Gestüt Votmúli bei Selfoss in Südisland. Der Hof mit etwa 30 bis 40 Reitpferden, weiteren Zuchtstuten und vielen Jungpferden wird von Freyja Hílmarsdóttir, einer in Island sehr bekannten Züchterin, Reiterin und Trainerin, geführt. Sie lebt von der Aufzucht und dem Verkauf ihrer Pferde und nimmt Berittpferde an. Sie bewirtschaftet den Hof mit jeweils ein bis zwei Helfern, die – so wie ich - meist aus dem Ausland kommen. Meine Job drehte sich also um Pferde und ich bekam dafür Kost, Logis und ein Taschengeld.
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TK: Wie war Dein Verhältnis zu Freyja? Gab es sprachliche Schwierigkeiten?o JE: Freyja war wirklich super-gastfreundlich, sehr hilfsbereit und hat mir die Möglichkeit gegeben, mit Pferden zu lernen. Da sie fließend Deutsch spricht, kann ich jetzt nicht so viel Isländisch sprechen. Mit den anderen Isländern konnte man sich gut auf Englisch verständigen.
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TK: Wie sah Dein typischer Arbeitstag aus?o JE: Morgens um acht habe ich den Stall gemacht, also die Boxen gemistet und die Pferde gefüttert, die nachts im Stall waren. Zu diesen Pferden gehörten die Hengste, kranke oder neue Pferde. Alle anderen Pferden waren nachts draußen und wir haben die Reitpferde dann morgens in die Boxen getrieben. Sie kamen jeweils zu zweit in eine Box. Danach haben wir gefrühstückt und anschließend habe ich die mir zugeteilten Pferde geritten. Dies ging bis zum Mittag und ich habe meist vier bis fünf Pferde geschafft. Gegen 14 oder 15 Uhr gab es Mittagessen und nachmittags wurden weitere vier bis fünf Pferde gearbeitet. Dies waren hauptsächlich Jungpferde oder ich sollte Pferde longieren oder freilaufen lassen. Nach der Arbeit kamen die Pferde in den Paddock und abends wieder auf die Wiese. Dies galt für die Reitpferde, die Zuchtpferde waren immer draußen auf einer sehr großen Weide. Mein Arbeitstag endete meist gegen 21/22 Uhr.
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| Das Haus (li.) und die Stallungen von Votmúli (re.). | |
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TK: Hattest Du auch so etwas wie Freizeit?o JE: Abends habe ich zum Abschalten immer noch etwa eine Stunde gelesen oder ferngesehen. Donnerstags gab es um 22 Uhr ein Treffen der ausländischen Helfer von den Höfen aus der Umgebung. Viele der Helfer haben mit Schafen und Kühen und nicht mit Pferden gearbeitet. Am Wochenende hatte ich ‚reitfrei’ und mit der Stallarbeit haben Freyja und ich uns abgewechselt. Diese freie Zeit habe ich genutzt, um viel zu lesen, etwas Isländisch zu lernen, mal ein Video auszuleihen, andere au pairs zu besuchen, in die örtliche Bücherei oder Touristik-Information zu gehen, um Zeitschriften aus Deutschland zu lesen oder mich im Internet über die Heimat zu informieren. Ich konnte auch einige Ausflüge machen: nach Reykjavík, zu den Westmänner-Inseln und zum Landsmót. Ansonsten habe ich von Island wenig gesehen, aber ich war ja auch zum Arbeiten da.
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TK: Mit welchen Methoden arbeitet Freyja die Jungpferde?o JE: Dreijährig kommen sie für etwa zwei, drei Wochen in den Stall. Sie sind dann quasi wild und werden an den Umgang mit Menschen gewöhnt und anlongiert. Freyja achtet dabei sehr darauf, dass die Pferde nie lernen an der Longe zu ziehen und alles läuft möglichst ohne Stress ab. Nach diesem kurzen Training kommen sie wieder auf die Weide. Vierjährig wird das Programm mit ihnen wiederholt, bevor Freyja Bodenarbeit an der langen Longe macht und sie an Sattel und Trense gewöhnt. Immer wieder geht es ums Longieren, Abstreichen, Ausweichen lassen; der Ausgangspunkt ist immer die Arbeit im Roundpen oder an der Longe. Danach kommt das Aufsteigen üben mit Helfer und danach das Longieren mit Reiter. Da die Pferde ganz toll auf Stimmkommandos trainiert werden, kann man gut mit ihnen arbeiten und sie immer mehr auf den Reiter und weniger auf den Longenführer konzentrieren. Sie werden dann selbständig geritten, schon bald in einem größeren Paddock und ins Gelände. Zwei-, dreimal kommt noch ein erfahrenes Pferd mit, dann wird das Pferd allein ausgeritten. Zuerst sollen die Pferde vorwärts gehen, in den Gangarten, die sie anbieten. Nach zwei, drei Monaten sollen sie alle vier Gangarten (Schritt, Tölt, Trab, Galopp) sowie Anhalten, Schenkelweichen oder Vorhandwendungen beherrschen. Im Herbst gibt es dann für die Jungpferde und auch für die meisten Reitpferde eine Pause. Ich finde, Freyja bereitet ihre Jungpferde sehr gut vor und wenn mal etwas nicht klappt, geht sie einfach wieder einen Schritt in der Ausbildung zurück. Die Pferde sind zwar anfangs ziemlich scheu, aber wer die Pferdesprache einhält, hat keine Probleme mit ihnen. Sie sind auch erstaunlich nervenstark und verkehrssicher.
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| Isländische Naturschönheiten... | |
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TK: Was waren eher negative Aspekte Deines Aufenthaltes?o JE: Anfangs fiel es mir schwer, dass man keine Bezugsperson hatte. Überall waren fremde Leute um mich herum. Außerdem war der Arbeitstag sehr anstrengend und ungewohnt. Es ist schon etwas anderes, in seiner Freizeit zwei, drei Pferde zu reiten und hier plötzlich etwa zehn und zusätzlich körperliche Arbeiten zu machen. Zermürbend war auch, dass es im August und September praktisch durchgehend Dauerregen gab.
o TK:
Was hast Du von dieser Erfahrung mitgenommen? Hat sie Dich persönlich und reiterlich weitergebracht? Würdest Du anderen zu einem solchen Island-Aufenthalt raten?o JE: Die Erfahrung hat mir sehr viel gebracht. Ich musste lernen, in einer anderen Kultur klarzukommen und mit vielen fremden Leuten umzugehen. Reiterlich konnte ich viel für den Umgang und die Ausbildung von Jungpferden lernen und sehen, wie Pferde in Island trainiert werden. Ich kann das Arbeiten auf Island nur empfehlen, aber man sollte nicht zu jung sein, sich über die körperliche Belastung klar werden und sich einen längeren Zeitraum vornehmen.
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TK: Jessica, vielen Dank für Deine Einblicke und Eindrücke und weiterhin viel Spaß mit Island und vor allem mit seinen faszinierenden Pferden!