„Island liebt man oder man hasst es. Hat dich der Islandvirus aber einmal befallen, kommst du nicht mehr davon los“. Das waren 1997 die Worte eines Freundes, vor meiner ersten Reise an den Polarkreis. Er hat recht behalten, der Freund. Es ist wie eine Sucht. Eine Sehnsucht, die sich im Gedächtnis einpflanzt und sich ständig in Erinnerung bringt. Ich bin zum Wiederholungstäter geworden.
Es ist der Gedanke an uralte Traditionen, glasklares Wasser, saubere Luft, überwältigende Naturschauspiele, liebenswerte Menschen – und natürlich das Islandpferd, der mich immer wieder magisch anzieht. Und um das Islandpferd in seinem Ursprung zu erleben, muss man auf die Insel reisen, auch wenn man sich daheim dieser Freizeitbeschäftigung verschrieben hat. Dort ist alles ganz anders.
In diesem Jahr hatte ich mich für eine Kombinationstour aus Hochland, Küste und Pferdauftrieb entschieden. 14 Tage lang Pferde, Pferde, Pferde.
Deutschland brütete unter 30 Grad Hitze als der Flieger in Düsseldorf abhob. Drei Stunden später standen alle Passagiere in Wollpullovern und Fließjacken leicht schnatternd bei 13 Grad am Flughafen und waren erstaunt, dass es um Mitternacht noch so hell ist wie bei uns daheim um 16.00 Uhr. Schon die Fahrt von Keflavik-Airport Richtung Norden ist jedes Mal ein Erlebnis, auf das ich mich immer freue. Lavawüste wird von Hochlandweiden abgelöst, Wasserfälle stürzen sich in die Tiefe, winzige Ansiedlungen, auf Island Städte genannt, huschen vorbei. Und überall stehen große Pferdeherden auf noch größeren Weiden. Jede Sekunde ein neues Lichterspiel, das Auge ist in der ersten Zeit vollkommen überfordert.
Meine Ankunft auf dem Hof Hvammur II im Vatnasdurla (Wassertal), dem angeblich schönsten Tal auf Island, war wie immer sehr herzlich. Nach kurzer Schlafpause begann der Tag mit der Besichtigung der diesjährigen Fohlen, die, wie sollte es auch anders sein, ausnahmslos sehr gut gelungen sind. Am Nachmittag stand der übliche Eingewöhnungsritt auf dem Programm. Unsere 50 Reitpferde, die wir für die nächsten 14 Tage zur Verfügung hatten (unsere Gruppe bestand aus 14 Mädels und Jungs) standen in einem Pferch am Svinavatn (Schweinesee) und mussten etwa 25 Kilometer weit zum Ausgangspunkt der Reittour, dem Hof Röðull, gebracht werden. Haukur, Tourveranstalter und unser „Reiseleiter“, suchte die zu uns passenden Pferde aus der Herde. Das ist der Moment an dem ich froh bin, schon öfter auf diesem Hof die Ferien verbracht zu haben. Ich kenne die Reitpferde und frage schon bei der Buchung, ob ich meine „Spezis“ wieder bekommen kann – und ich kann. Ljuvingur, Listingur, Mökkur, Blakkur, alles erstklassige Tölter, fleißig und ausdauernd.
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Als die Pferde verteilt und gesattelt sind, werden Vorreiter und Nachhut bestimmt, die restlichen Pferde aus dem Pferch entlassen und eine lange Reihe von Leibern läuft die Straße entlang und muss von den hinten Reitenden zusammengehalten werden. Es darf nicht zu viel Druck ausgeübt werden, sonst überrennt die Herde die Tete, Ausbrecher müssen eingefangen und Hofeinfahrten mit dem eigenen Reitpferd abgesperrt werden. Nach 45 Minuten sind Pferde und Reiter schweißgebadet und der erste Pferdewechsel steht an. Kurz verschnaufen und weiter geht es. Begleitet vom Viertakt der töltenden Reitpferde und einer beeindruckenden Landschaft nähern wir uns dem Meer. Das Tal öffnet sich, am Horizont zeichnen sich die Fjorde der Halbinsel Snæfelsnes ab, die Luft wird immer salziger. Tieffliegende Wolken und die Sommersonne verzaubern die Hügel in goldene, kupferne oder leuchtend grüne Berge. Hier und da ein Bergbach, der unter Tosen seinen Weg zum Meer sucht. Klar und rein, voller Lachse, die für 1000 $ Tagesgage geangelt werden können (Prinz Charles und Paul McCartney sind hier Stammgäste). Und schon erreicht die Herde die Weide um zu übernachten. Die Pferde fressen, die Reiter geben sich den Eindrücken hin. Es ist zuviel auf einmal, das muss langsam verarbeitet werden. Beim Abendessen in Hvammur wird viel erzählt und das erste isländische Bier zelebriert. Bei dem Kurs (0,5 l für schlappe 4,20 Euro) sollte man es tunlichst genießen. Die Frage, die auftauchte, kann man im Hellen eigentlich schlafen, beantwortet sich von selbst – wer viel gearbeitet hat beim Pferdetreiben, der ist hundemüde und schläft super.
Samstagmorgen, ein dramatischer Wetterumschwung begrüßt uns. Nebel, Nieselregen, 5 Grad. Hat es im Hochland etwa geschneit? Schade, dass man die Berggipfel nicht sieht. Egal, wir sind scharf auf die Tagestour. Es geht durch den Hunavatn, das ist ein toller Spaß, da kann es gar kein schlechtes Wetter geben. Regenjacken an, Gummistiefel und los geht es. Schnell ist gesattelt und mit der Erfahrung des Vortages läuft die Herde heute auch schon viel harmonischer. Außerdem begleitet uns übers Wochenende Bobo, ein uriger isländischer Pferdemann, der mit allen Wassern gewaschen ist. Mit seinen zwei Handpferden, die er niemals los lässt, sorgt er hinter der Herde für Ordnung und ist wie der Blitz hinter Ausreißern her.
Die erste Etappe geht durch eine Hügellandschaft Richtung Hof Árholt, hier muss die Laxi í Áusum durchquert werden, dann reiten wir über Buckelwiesen Richtung Meer. Auf der freien Fläche ist es eine echte Sisyphusarbeit, die quirlige Herde zusammen zu halten. Und es passiert was passieren muss: Eine Schimmelstute entwischt uns und ist in Sekunden verschwunden. Egal sagt Haukur, die wohnt hier in der Nähe, morgen hole ich sie mit dem Hänger zurück. Und jetzt geht es ins Meer. Die
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Pferde freuen sich und spritzen los. Wir Reiter sind in der Sekunde nass. Aber es ist ein tolles Gefühl, fast bis zum Oberschenkel von Wasser umspült dahinzureiten. Die Pferde verbringen die Nacht auf einer Weide am ehemaligen Kloster Pingeyrar. 1133 n. Chr. von Benediktinern erbaut, gingen von ihm entscheidende Impulse zur Sagaliteratur aus, heute ist leider nichts mehr zu sehen. An gleicher Stelle wurde 1864 - 1877 die ersten Steinkirche Islands errichtet. Die nächsten zwei Tage verbrachten wir damit, die Pferd auf landschaftlich fantastischen Wegen zum Hof Hvammur II zu bringen.
Dann starteten wir erwartungsvoll ins Hochland. Der heißeste Tag Islands seit 40 Jahren begrüßt uns und wird uns 25 Grad bescheren. Es geht etwa 20 km durch das Vatnasdurla. Dann biegen wir nach links ab zum Hof Kárdalstunga und haben somit das Tor zum Hochland erreicht. Wir folgen dem Lauf der Tungá, die sich wild und ungebändigt ihren Weg zum Meer sucht in entgegengesetzter Richtung. Ab jetzt gibt es weder Straßen noch Zäune, keine Menschen, nur dann und wann einige Schafe und Vögel, die entsetzt auffliegen, wenn wir schnell an ihnen vorbeireiten. Die Hitze beschert uns Mücken zu Millionen, viele Pausen und eine gigantische Fernsicht. Am Horizont sehen wir Gletscher. Die Nacht verbringen wir in der Hütte Áfangi, in der wir den Hunger mit Grillfleisch stillen und die müden Knochen im Hotpot verwöhnen.
Der folgende Tag vergeht im atemberaubenden Tempo über Hochmoore, Steilhänge und Buckelwiesen Richtung Svinavatn. Hier im Pferch Áudkúlrett endet die Küsten-Hochlandtour und der zweite Teil der Reise, der Pferdeauftrieb kann am kommenden Tag beginnen.
Die Herde wird von uns über den Hof Reykir auf den Hof Röðull gebracht. Hier sortieren wir noch einige Pferde aus und bereiten alles vor, um unsere Reitpferde am kommenden Morgen über die Blönda zum Winterpferch Miðgil zu bringen.
Der Freitagmorgen präsentiert sich wieder sommerlich warm. Die Pferde sind schnell von der 5 ha großen Weide in den Stall getrieben und gesattelt. Gegen Mittag reiten wir mit unserer 50-köpfigen Herde los und erreichen nach etwa einer Stunde das Steilufer der Blönda, die laut Aussagen der Einheimischen in diesem Jahr nur wenig Wasser führen soll. Die Furt, die wir nehmen sollen, ist schnell gefunden. Wir drei Vorreiter haben das Vergnügen, als erste in die Fluten zu steigen und schon nach drei Schritten schwimmen unsere Pferde. War wohl nichts mit wenig Wasser. Es hilft nichts, hier bekommen wir die Pferde nicht geschlossen rüber. Also wieder hinaus an den Strand und es 4 km weiter nördlich versuchen. Die Herde wird nervös, zwei Pferde sind alleine durch den Fluss geschwommen und machen, am anderen Ufer angekommen, einen gehörigen Radau. Ich beneide die Nachhut nicht, die im vollen Galopp in die Fluten muss, um die restlichen Pferde an der Durchquerung zu hindern. Unsere beiden Ausbrecher haben dann aber ein Einsehen, sie kommen zurückgeschwommen, um anschließend zusammen mit der Herde überzusetzen. Diese Furt ist nur einen Meter tief, hier ist die Durchquerung kein Problem, allerdings geht es am Ufer sofort steil bergauf, kostet. Alle Pferde und Reiter sind heil angekommen und der restliche Weg ist nur ein Kinderspiel. Jetzt nur noch die Stuten mit ihren Fohlen einfangen, was auf 40 ha ein kleines Problem ist, und ab geht’s in die Unterkunft.
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Im Morgennebel starten wir vom Pferch Miðgil Richtung Skrapatungurétt. Hier werden die Fohlen mit Ohrmarken versehen, fotografiert und katalogisiert. Zum einen, damit man sie zum Verkauf anbieten kann, zum anderen kostet jedes Tier eine bestimmte Summe, um den Sommer über im Hochland zu sein. Also belegt man akribisch, wie viele Tiere hinaufgetrieben worden sind. Fast typisch deutsch, ein städtischer Beamter wacht über das Geschehen. Wir Touristen bereiten uns darauf vor, am Abend die Stuten mit ihren Fohlen auf die Hochlandweiden zu bringen. Die Herde ist auf über 100 Tiere angewachsen als wir die Laxá überqueren und ins Hochland starten. Die ersten km führen uns auf der Straße 744 bis Pverá, hier ist der Zugang für unseren Hochlandabschnitt und wir verlassen die Straße. Schon nach wenigen Metern sind wir in der Abgeschiedenheit, nichts erinnert mehr an Zivilisation.
Dichte Nebel fallen rund um uns von den Berghängen auf uns herab. Obwohl es eigentlich 24 Stunden hell ist, setzt eine Dämmerung ein, die uns etwas beängstigt. Wir haben noch zwei Stunden Weg vor uns und müssen dann noch fast vier Stunden zurückreiten. Die Herde vor uns rast im atemberaubenden Tempo immer höher die Berge hinauf und tiefer ins Landesinnere, Wir können kaum folgen. Im Jagdgalopp geht es über Moore, durch kleine, tiefe Bäche, steile Hänge hinauf und wieder hinab. Die älteren Stuten wissen: Die Freiheit ruft, da wollen alle als erste dort sein. Die Herde führt uns. Der Nebel wird immer dichter, plötzlich ist alles anders, es gibt nur noch Moos, Krähenbeeren, Stille und - Nebel. Wo sind die Pferde. Haukur beruhigt uns. Wir sind am Ziel, ab hier laufen die Pferde
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alleine weiter, das wissen sie. Wir rasten und trinken erst einmal einen ziemlich wässerigen Schluck Wodka. Als wir uns auf den Rückweg machen, folgen wir dem Oberlauf der Laxa. So kommen wir heil im Tal an und können die Pferde ins Pferch stellen und zufrieden den Heimweg antreten.
Der Sonntag bringt noch einmal einen ziemlichen Gewaltakt mit sich. Alle Reitpferde müssen zurück auf den Hof Röuðull. Wir starten am Skrapatungurétt und unser Weg führt uns über den Berg Langadalsfjall zum Pferch Miðgill. Wie am Freitag durchqueren wir die Blönda, die auch wirklich etwas weniger Wasser führt. Durch die hügelige Landschaft geht es auf die Straße 731 und nach sechs anstrengenden Stunden erreichen wir Röuðull. Hier heißt es Abschied von den Pferde nehmen. Die Tour ist zu Ende. Es war toll. Alle werden wir wiederkommen, die Sucht ist schlimmer geworden. Im nächsten Jahr ist Landsmót – dann geht die Reise über die historische Strecke Kjölur, auf der Isländer jahrhundertelang das Land durchquerten.
Rolfpeter Lohmann